"Die Arbeit mit dem Orchester ist ein Privileg"

Jürg Surber und das Appenzeller Kammerorchester - das Appenzeller Kammerorchester und Jürg Surber. Das gehört untrennbar zusammen. Doch unser Dirigent hat sich entschieden, Ende dieses Jahres die Leitung des Orchesters in neue Hände zu übergeben. Was die Gründe sind und wie sich das Orchester unter seiner Leitung entwickelt hat, erzählt er im folgenden Interview. 

Nach über 20 Jahren Arbeit mit dem Orchester möchtest Du Deine Aufgabe Ende dieses Jahres in neue Hände übergeben. Ein überraschender Entscheid?
Wenn es einfach wäre, bräuchte es keinen Entscheid… Ursprünglich wollte ich mit meiner Pensionierung an der Kanti alle regelmässigen Verpflichtungen beenden, habe dann aber doch weiter gemacht. Der Entscheid musste reifen und er ist natürlich auch mit Wehmut verbunden. Es ist ein Privileg, mit einem solchen Orchester arbeiten zu können. Da gebe ich viel auf. Die persönlichen Beziehungen, die ich sehr schätze, aber auch die musikalischen Herausforderungen. Ideen entwickeln, Programme gestalten – das fällt künftig weg. Anderseits ist diese Aufgabe aber auch anstrengend, diese Rolle als Vermittler, der methodisch-pädagogisch-künstlerische Prozess. Der ist "läss", aber auch streng. 
Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist, bevor man das Gefühl bekommt, es sei jetzt an der Zeit. Ich denke aber auch, dass es für das Orchester gut und wichtig ist, dass eine neue Leitung neue Energie, neue Impulse bringt.

Bild: Bodo Rüedi.

2002 hast Du das Kammerorchester Herisau übernommen, 2007 kam dann die Fusion mit dem Mittelländer Orchester zum heutigen Appenzeller Kammerorchester. Wie hat sich das Orchester entwickelt?
Es wäre spannend, alte Aufnahmen zu hören. Am Anfang war das Orchester viel heterogener, suchender, das war gewiss auch hörbar. Heute ist es anders. Wir haben uns stark entwickelt in Richtung einer ausgeglicheneren Qualität. Insbesondere bei barocker Musik hat das Orchester, auch dank der Barockbögen und dem Wissen und der Erfahrung unserer Konzertmeisterin, eine grosse positive Veränderung erlebt. Das Vertrautsein mit alter Musik ist in jedem Konzert deutlich hörbar.
Auf der menschlichen Ebene schätze ich es sehr, dass das Orchester nicht auf Konkurrenz beruht, sondern auf einem Miteinander. Das entspricht mir persönlich sehr. Wenn ich rückblickend etwas bedauere, dann ist es die zu wenig geplante und gezielte Erneuerung und Verjüngung. Da hätte ich vielleicht noch mehr Energie einsetzen können.

Du hast von neuen Impulsen gesprochen, kannst Du das noch ausführen?
Das Appenzeller Kammerorchester verfügt über eine grosse personelle Kontinuität. Das hat eine hohe Qualität und ist etwas sehr Verlässliches, aber es entsteht keine Aufbruchstimmung. Wenn das Orchester längerfristig weiterbestehen will, dann muss es sich erneuern, verjüngen. Eine neue Leitung wird sicher auch neue Mitspielende mitbringen und anziehen. Dann gibt es eine andere Durchmischung der Generationen. Diese neue Energie erhoffe ich mir und wünsche ich dem Orchester. 

Wenn Dich Interessentinnen und Interessenten für Deine Nachfolge fragen: Wie würdest Du das Orchester charakterisieren?
Atmosphärisch sehr positiv! Die Stimmung ist sehr gut, es herrscht ein gemeinschaftlicher Geist ohne Konkurrenz und Hierarchien. Von der musikalischen Qualität her bewegt sich das Orchester in einem mittleren Bereich für Laienorchester. Durchaus ambitioniert, aber auch recht heterogen vom Können her. Besonders hervorheben möchte ich die hervorragende Zusammenarbeit mit Konzertmeisterin Christine Baumann. Auch die Stimmführerin, die Stimmführer sind sehr engagiert. Hier stehen indes mittelfristig ebenfalls Ablösungen an. 
Sicher etwas Besonderes sind die Verankerung im Kanton und die Verbindung mit der Appenzeller Volksmusik. Letztere könnte man vielleicht noch mehr pflegen. Und ganz wichtig ist auch, dass das Orchester als Verein sehr gut organisiert ist. Ich fühle mich vom Vorstand sehr gestützt und kann mich als Dirigent voll auf das Musikalische konzentrieren. 

Was wirst Du Deiner Nachfolgerin/Deinem Nachfolger als Herz legen?
Oh, davor werde ich mich hüten! Das ist nicht meine Aufgabe, da werde ich mich absolut zurückhalten.

Ganz zum Schluss: Was machst Du mit der freien Zeit?
Vor allem freue ich mich darauf, ganz ohne regelmässige und kontinuierliche Verpflichtungen zu sein. Ich war ein ganzes Berufsleben lang stark eingebunden, vor allem auch terminlich. Das wird sich (hoffentlich …) ändern. Meine Pläne? Ich übe jetzt wieder viel für mich selbst, auf dem Kontrabass, neu auch auf der Gambe, ich singe auch wieder mehr. Was daraus entsteht? Das ist offen. Ich denke an kleinere Ensembles mit weniger Leuten, flexibler, mehr projektmässig. Wir werden sehen, was entsteht. Und ich werde wahrscheinlich etwas mehr Zeit in Südfrankreich verbringen und die Reben und Olivenbäume pflegen.

Applaus für Jürg Surber 2024 in Bühler. Bild: hs.

Appenzeller_Zeitung_20240208 herunterladen

Nächste Konzerte

Das Appenzeller Kammerorchester lädt Mitte Juni ein zu drei Konzerten mit neuem Programm:

  • Freitag, 14. Juni 2024, 19.30 Uhr, Kirche Wolfhalden
  • Samstag, 15. Juni 2024, 20.00 Uhr, Kath. Herz-Jesu-Kirche, Buchs SG
  • Sonntag, 16. Juni 2024, 18.00 Uhr, Pfalzkeller St.Gallen

Werke von Frauen sind immer noch rar in den Konzertprogrammen. Das Appenzeller Kammerorchester setzt einen Kontrapunkt und kombiniert im neuen Programm ausschliesslich Kompositionen von Musikerinnen. Im Zentrum steht das Klavierkonzert a-moll von Clara Schumann (1819 – 1896) mit Lisa Maria Schachtschneider als Solistin. Ein Jahrhundert früher hat Maria Anna Martines (1744 – 1812) die Sinfonia in C geschrieben, ein Jahrhundert später Ruth Gipps (1921 – 1999) ihre poetische Klangdichtung «Cringlemire Garden». Daneben Überraschendes aus der Appenzeller Volksmusik: ein Walzer von Josefine Alder, und Populäres aus den USA: Adoration von Florence Price.

Reservieren Sie sich die Daten schon jetzt.