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    Ein gelungenes Konzert ist ein tolles Erlebnis für alle

Anita Dörler ist neue Präsidentin des Appenzeller Kammerorchesters

  An der Hauptversammlung Anfang April 2018 hat Anita Dörler, St.Gallen, das Präsidium des Appenzeller Kammerorchesters von Patrick Droz übernommen. "Ich hätte Lust, Zeit und Freude, das Amt zu übernehmen", hatte sie letzten Sommer der Findungskommission geschrieben. Deren Anforderungsprofil für das Präsidium war auf sie wie zugeschnitten. Sie ist seit mehr als 40 Jahren mit dem Orchester verbunden, bringt Führungserfahrung und Organisationsgeschick mit und verfügt nach ihrer Pensionierung auch über genügend Zeit für ein vermehrtes Engagement.
Dass Anita Dörler zum Orchesterverein Herisau stiess, war der Überzeugungskraft des damaligen Präsidenten Markus Auer zu verdanken. "Wir waren ab 1975 beide Mitglied im Herisauer Einwohnerrat, und als er hörte, dass ich Geige spiele, hat er mich überredet, ins Orchester zu kommen." Seither hat es Anita Dörler – mit einem Unterbruch, während dem sie aus terminlichen Gründen beim Orchesterverein Rorschach "fremdging" – nicht mehr losgelassen. Sie sei ja nicht besonders talentiert und auch nicht besonders fleissig, findet sie, aber das Zusammenspiel, das gemeinsame Erarbeiten neuer Werke, bereite ihr stets Freude. Selbst wenn das Ziel manchmal hoch gesteckt sei. Und das Gelingen eines Konzerts sei immer wieder ein tolles Erlebnis für alle. Sie schätzt im Appenzeller Kammerorchester die musikalische Abwechslung, sei es bei der Erarbeitung eines grossen Werkes wie Mozarts Requiem oder Bachs Weihnachtsoratorium, sei es bei der Begleitung junger Solistinnen und Solisten in der Reihe TUTTI SOLI, wo die Palette von Beethoven und Mozart über Schostakowitsch bis Piazzolla und Bizet reicht. Dazwischen darf es gern auch etwas "Lüpfiges" sein.
"Auch in Zeiten grosser beruflicher Anspannung war dieser eine Abend mit der Orchesterprobe wie eine Insel im Alltag. Ein Abend, der ganz mir gehörte, der einen fixen Platz in der Agenda hatte und den ich stets zu verteidigen wusste." Ganz ähnlich übrigens auch die regelmässigen Treffen mit Freunden zum Piccolo-Spielen: "Das habe ich mir vor Jahren selber beigebracht, um an der Basler Fasnacht mitmachen zu können." Und schliesslich hatte Anita Dörler, als Generalsekretärin im Departement des Innern des Kantons St.Gallen, vor Jahren auch die "staatsVielharmonie" ins Leben gerufen, ein bunt gemischtes kleines Orchester mit einem kleinen Chor aus Mitarbeitenden der Staatsverwaltung. Auch da war die musikalische Vielfalt gross, grösser leider als die Zahl der Mitwirkenden, so dass das Projekt nach ein paar Jahren "schicklich beerdigt" werden musste.
Seit letztem Herbst war Anita Dörler an den Vorstandssitzungen dabei. "Das Engagement im Vorstand und ganz besonders auch von Dirigent und Konzertmeisterin ist beeindruckend!" Überhaupt empfindet sie die Atmosphäre im Orchester als ausgezeichnet, alle setzen sich ein und leisten einen Beitrag zum Gelingen. "Und damit hoffe ich natürlich auch, dass das Appenzeller Kammerorchester attraktiv ist und bleibt einerseits für das interessierte Publikum, anderseits aber vor allem auch für neue Mitspielerinnen und Mitspieler!" Dazu möchte die neue Präsidentin ihren Beitrag leisten.

 

 

"Bach ist ein wirklich grosser des Barock"

 

Das nächste Projekt des Appenzeller Kammerorchesters sind vier Aufführungen der ersten drei Teile des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach (BWV 248). Jürg Surber, Dirigent, und Christine Baumann, Konzertmeisterin, treffen sich zum Gespräch.

Jürg Surber und Christine Baumann, was klingt in euch an, wenn ihr den Namen Johann Sebastian Bach hört?
Christine Baumann: Bach ist ein wirklich Grosser des Barock, mit dem ich mich schon lange intensiv auseinandersetze und den ich versuche immer besser zu verstehen. Durch seine vielen verschiedenen Werke wird Bach für mich zum Lehrmeister, an dem ich als Geigerin wachsen kann. Immer wieder Neues lässt sich entdecken in Bachs Musik. Oder ich kann mich auch tausendmal vom Selben berühren lassen.
Jürg Surber: Mit Bach kann man sich ein Leben lang beschäftigen, und es eröffnen sich immer neue Schichten. Seine Musik wird nie langweilig oder banal. Ich bin interessiert an dieser Tiefe, musikalisch und gedanklich.

Ihr habt es gesagt: Bach ist einer der herausragenden Komponisten der Barockzeit. Was ist denn für die Barockmusik charakteristisch?
Jürg Surber: Spontan fallen mir vielerlei Analogien beispielsweise zur Architektur der damaligen Zeit ein: die Symmetrien, die Dreiteiligkeit, das Filigrane und Verspielte, manchmal auch etwas Übertriebene… Inhaltlich bewegt sich der Barock zwischen der Lebensfreude, dem Carpe diem, und dem Wissen um die Todesnähe, dem Memento mori.
Christine Baumann: Mir fällt auch die Nähe zur Malerei auf. Die Barockmusik ist enorm farbig und ausdrucksstark.



Heute wird viel von historischer Aufführungspraxis gesprochen. Sie scheint, gerade in Bezug auf barocke Musik, Standard geworden zu sein. Was versteht man unter dem Begriff? Und wie weiss man überhaupt, wie vor dreihundert Jahren musiziert wurde?
Christine Baumann: Ja, es stimmt: Die historische Aufführungspraxis hat sich so etabliert, dass sie heute einfach dazugehört. Als ich mein Studium begann, was die Möglichkeit, ein Barockinstrument im Nebenfach zu wählen, zwar schon fast selbstverständlich. Heute gibt es immer mehr Musikhochschulen, die es sogar im Hauptfach anbieten.
Jürg Surber: Während meines Studiums gab es die Möglichkeit noch nicht einmal im Nebenfach. Die ersten Versuche einzelner kleiner Gruppen, mit modernen Instrumenten ‘echte’ Barockmusik zu spielen, galten damals noch als sehr exotisch! In der Schweiz war die Schola Cantorum Basiliensis die erste Institution, die sich der historischen Aufführungspraxis verschrieb. Als im 19. Jahrhundert von Felix Mendelssohn-Bartholdy und in der Folge auch von anderen die Barockmusik, die eine Zeitlang beinahe vergessen war, wieder ins Bewusstsein gerufen wurde, geschah das mit den damaligen Möglichkeiten. Das Interesse daran, wie barocke Musik zu ihrer Zeit geklungen haben mag, erwachte erst im letzten Jahrhundert. Es ging darum, authentisch zu spielen und möglichst nah an das ursprüngliche Klangbild heranzukommen. Zu Beginn war das eine Sache von spezialisierten MusikwissenschaftlerInnen. Die Umsetzung in die Praxis kam erst in einem zweiten Schritt.
Christine Baumann: Dazu beigetragen hat eine rege Forschungstätigkeit an historischen Quellen, sodass heute viel mehr Information vorhanden ist. Zurückgegriffen werden kann etwa auf Bildmaterial, Faksimile-Ausgaben, theoretische Werke, bis heute erhaltene Instrumente, inzwischen auch auf eine reiche fundierte Fachliteratur.
Jürg Surber: Die ersten Aufnahmen, die dann übrigens auf den Markt kamen, wirkten noch sehr streng und trocken. Seither ist eine grosse Veränderung geschehen.

In meiner Schallplattensammlung aus den 70er Jahren finden sich tatsächlich noch kaum Aufnahmen, die dem gerecht werden, was heute unter historischer Aufführungspraxis verstanden wird. Trotzdem haben Interpretationen, die mir inzwischen schwülstig vorkommen, mir einst gefallen. Grenzt eine als ‘richtig’ geltende Aufführungspraxis nicht auch andere Interpretationsmöglichkeiten aus? Oder anders: Passt sich unser musikalischer Geschmack an den jeweiligen Mainstream an?

Jürg Surber: Es ist bestimmt so, dass sich Hörgewohnheiten entwickeln, indem man gewisse Interpretationen immer wieder hört. Von Ausgrenzung würde ich heute allerdings nicht mehr sprechen. Bei den ersten Versuchen authentischer Interpretationen ging es auf beiden Seiten noch sehr dogmatisch zu. Heute gibt es aber sehr viele Mischformen. Das Wissen ist gewachsen, dass es nicht die absolute Wahrheit gibt. Es geht vielmehr um Lebendigkeit. Eine Konsequenz aus den Diskussionen lässt sich allerdings vermutlich ausmachen: Grosse Symphonieorchester führen heute seltener barocke Werke auf als früher.


Habt ihr denn eure persönlichen FavoritInnen in der Interpretation barocker Musik?
Christine Baumann: Es gibt verschiedene InterpretInnen, die mich faszinieren; je nach Stück oder meiner eigenen Stimmung wechselt das stark. Ein grosses Vorbild ist für mich der Dirigent Nikolaus Harnoncourt. Er wagte Neues in einer Zeit, als er damit noch auf Unverständnis stiess. Auch er machte innerhalb seines Berufslebens einen weiten Weg. Als Geigerin schätze ich zum Beispiel Amandine Beyer sehr. Die Art, wie einzelne OrchestermusikerInnen, mit denen ich zusammenspiele, an gewisse Dinge herangehen, die Interpretationen einzelner Sänger in bestimmten Stücken – es gibt immer wieder Faszinierendes!
Jürg Surber: Ich habe an den englischen Chorleiter Andrew Parrott eine eindrückliche persönliche Erinnerung. Ich konnte ihn als junger Mann an einem Kurs erleben - wir sangen Lieder der Renaissance -, und eine Zeitlang habe ich dann sehr gern Aufnahmen mit Interpretationen von ihm gehört. Zu Bachs Weihnachtsoratorium habe ich mir in der letzten Zeit verschiedene Aufnahmen angehört, und stets sind es einzelne Elemente, die mich beeindrucken.

Ich meine zu beobachten, dass Barockmusik gegenwärtig erneut eine Renaissance oder sogar einen Höhenflug erlebt. Wie erklärt ihr euch das?
Jürg Surber: Eine schwierige Frage! Überhaupt: Warum wird noch immer klassische Musik im weiteren Sinn gespielt und gehört? Die Studiengänge sind voll… Vermutlich bedient die Barockmusik, ohne sie darauf beschränken zu wollen, das Bedürfnis der Menschen nach Harmonie und Struktur. Sie ist sozusagen hörerfreundlich.
Christine Baumann: Dazu kommt, dass es heute auch zunehmend Angebote gibt, die für eine grössere Allgemeinheit interessant sind, Openair-Konzerte zum Beispiel.
Jürg Surber: Gerade bei jungen Menschen, die mit Pop und Rock gross geworden sind und damit im Alltag leben, beobachte ich, dass sich ihnen durch klassische Musik eine zusätzliche Dimension der Tiefe eröffnen kann, die sie fasziniert.
Christine Baumann: Das erlebe ich auch so. Wenn ich etwa SchülerInnen auf ein bestimmtes Stück aufmerksam mache und sie es sich dann auf Youtube anhören und anschauen - da eröffnen sich heute ja auch zusätzliche Möglichkeiten -, können sie plötzlich auf positive Weise gepackt werden. Das ist schön.

Viele barocke Werke - denken wir an die Kantaten von Johann Sebastian Bach - sind Vertonungen biblischer oder christlich-theologischer Texte in einer altertümlichen Sprache und mit Inhalten, die uns heutigen Menschen eigentlich sehr fremd vorkommen müssten. Wie verträgt sich das mit dem grossen Zuspruch, den entsprechende Aufführungen erfahren? Und wie ist es für euch als InterpretInnen, Werke, die ursprünglich der Verkündigung dienten, aufzuführen?
Jürg Surber: Ich frage mich, wieviel sich die ZuhörerInnen überhaupt mit dem Text abgeben. Ist es nicht vor allem die Musik, die berührt?
Christine Baumann: Ich denke schon. Allerdings wird zum Teil ja auch versucht, für Aufführungen die Texte zusätzlich zu erklären und mit der Musik in einen Zusammenhang zu stellen. Auch mir geht es übrigens so, dass ich die Texte oft nicht wirklich ‘verstehe’. Ich weiss eher allgemein um das Thema, das im Zentrum steht.
Jürg Surber: Aber klar, eigentlich verständlich wird eine Kantate nur, wenn die Texte beim Hören zur Musik hinzugezogen werden. Für mich persönlich ist es so, dass ich als Musiker zuerst selbstverständlich auf die Musik ausgerichtet bin. Immer aber geht es, gerade bei Bach, um Grundthemen der menschlichen Existenz. Mit ihnen verbinden sich Emotionen, die durch die Musik ausgedrückt und so hörbar und wiederum erfühlbar werden. So steht für mich im Zentrum des Weihnachtsoratoriums das Geschehen der Geburt, des Werdens menschlichen Lebens, und mit der Mutterfigur und dem neugeborenen Kind nehmen wir als Kollektiv am Wunder des Lebens teil. Man kann das als religiöse Erfahrung deuten, aber eigentlich geht es um eine grund-existentielle Erfahrung aller Menschen.

Christine Baumann: Bach ist ja ein Meister darin, Texte in Musik zu verwandeln, und damit gibt er dem Wort eine grosse Tiefe. Dabei ist mir der religiöse Aspekt je nach Befindlichkeit schon wichtig. Die Musik macht es auch möglich, zusätzliche Dimensionen aufleuchten zu lassen, eben zum Beispiel im Weihnachtsoratorium bereits beim Geburtsgeschehen den späteren Tod dieses Kindes anzudeuten. Das Schaffen von Emotionen und der Umgang damit beeindrucken mich. Fast könnte man versucht sein zu sagen, Bach sei ein romantischer Komponist!


Bleiben wir doch gleich noch ein wenig beim Weihnachtsoratorium: Könnt ihr noch etwas mehr zu eurer persönlichen Beziehung dazu sagen?
Christine Baumann: Das Weihnachtsoratorium begleitet mich seit meiner Kindheit und bedeutet mir viel. In meinem Elternhaus war Bach sehr gegenwärtig, und für mich als Kind war das Weihnachtsoratorium dasjenige von Bachs Werken, das mir am besten gefiel. Daraus dann erstmals die Geigenarie aus dem dritten Teil zu spielen, war ein Moment grösster Freude. Stark geprägt hat mich das Werk zweifellos, aber es spricht mich im Lauf des Lebens immer wieder neu und unterschiedlich an. Ich freue mich sehr, auch mit unseren Konzerten im Dezember Bachs Werk den Menschen näherbringen zu können.
Jürg Surber: Auch in mir steigen Kindheitserinnerungen auf; wir hatten in der Familie eine Aufnahme vom Weihnachtsoratorium. Als Jugendlicher habe ich dann einmal mitgesungen im Chor, später spielte ich das Werk als Kontrabassist. Der Anfang des Werks hat etwas Euphorisches, beinahe Ekstatisches neben den ganz verinnerlichten Stellen später – ich freue mich auch darauf, das Werk mit unserem Orchester aufzuführen.

Das Appenzeller Kammerorchester ist ein Laienorchester. Was erwartet ihr von den Proben und den Aufführungen? Und was wird schliesslich die KonzertbesucherInnen erwarten?
Christine Baumann: Der Entscheidung, das Werk aufzuführen, gingen lange Überlegungen unsererseits voraus. Gewiss, es ist ein Wagnis. Aber wir haben ja bereits Erfahrung aus den Aufführungen von Mozarts Requiem vor vier Jahren. Damals wurde mir bewusst, wie für einzelne Orchestermitglieder ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung ging, weil sie einen Bezug hatten zum Werk über viele Jahre schon oder auch aus ihrer ganz speziellen Lebenssituation heraus. Das hat mich sehr bewegt. Darum ist meine Erwartung oder besser Hoffnung, dass auch diesmal das Orchester, der Chor und das Publikum in der Tiefe sich berühren lassen von der Musik und im Miteinander Freude empfinden. Zudem freue ich mich auf die Erarbeitung des Werks, auf die gemeinsame Auseinandersetzung mit ihm.
Jürg Surber: Berührt werden, das ist auch für mich das Stichwort. Es geht um eine andere Ebene als diejenige der Perfektion. Natürlich ist es wichtig, zu arbeiten, zu verbessern und das Werk schliesslich möglichst gut zu spielen. Aber es gibt eine tiefere Erfahrungsschicht, und auf diese kommt es mir an. In diesen Zusammenhang gehört auch das Vorhaben, in Bachs Werk eine zweite Tonspur hineinzulegen, indem einzelne instrumentale und gesungene Elemente aus dem nahöstlichen Kulturkreis zum Klingen kommen sollen. Dadurch entsteht, so hoffe ich, eine zusätzliche Berührungsebene: Ein Geschehen der Zeitenwende im Orient, Musik des 18. Jahrhunderts aus Mitteleuropa und das gegenwärtige, auch weltpolitische Geschehen des 21. Jahrhunderts begegnen sich.

Wie bereits in den Aufführungen von W.A. Mozarts Requiem werden wiederum der Chor Wald und das Appenzeller Kammerorchester die Konzerte gemeinsam gestalten. Was sind die Gründe dafür?
Jürg Surber: Der pragmatische Grund ist, dass ich bei Chor und Orchester Dirigent bin. Das Requiem war ein erster Versuch eines gemeinsamen Projekts, und daraus ist wohl nicht nur bei mir, sondern auch bei anderen Mitwirkenden der Wunsch entstanden, wieder einmal ein grösseres Werk zusammen aufzuführen. Es interessiert mich, auch mit Laienensembles ‘grosse’ Literatur zu spielen und zu singen.
Christine Baumann: Mit dem Chor Wald hat sich in den letzten Jahren ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, was ich sehr schön finde.

Das Appenzeller Kammerorchester legt einen gewissen Schwerpunkt auf Barockmusik. Es besitzt Barockbogen, und auch an einer barocken Spielweise wird seit längerem gearbeitet. Worin liegen die Besonderheiten, und was ist euer Ziel dabei?
Christine Baumann: Ich nehme wahr, wie das Orchester einen Weg verfolgt und sich entwickelt. Das ist gut so. Entscheidend ist nicht einmal so sehr, welcher Weg es ist. Weil die Barockmusik aber ein gemeinsames Interesse ist von uns beiden, haben wir auch ähnliche Vorstellungen und Ziele. Das ist sehr wichtig.
Jürg Surber: Es ist ja so, dass in unserem Orchester gewisse Parameter einfach gegeben sind: Wir haben zwar Barockbogen, spielen aber auf modernen Instrumenten und stimmen auf 440 Hz. ‘Historisch informierte Aufführungspraxis’: der Begriff passt meiner Meinung nach gut! Wir haben ein gewisses Instrumentarium zur Verfügung, und die Frage ist, was wir damit machen.
Christine Baumann: Ich denke, so ist es für unser Ensemble ein guter Mittelweg. Auch eine Herausforderung, mit Barockbogen und modernen Instrumenten ein möglichst ideales Klangbild zu finden…

Zum Schluss noch eine allgemeine Frage: Wie seht ihr die Zusammenarbeit und allenfalls die Entwicklung innerhalb des Kammerorchesters während eurer langjährigen Leitung? Worüber empfindet ihr Freude, und wo möchtet ihr etwas ändern oder verbessern?
Christine Baumann: Ich meine, dass sich das Orchester gut entwickelt, weil wir beide am selben Strick ziehen und konstant an unserem Ziel arbeiten. Ich finde, die Art zu hören und zu spielen hat sich sehr verändert über die Jahre.
Jürg Surber: Dass die Zusammenarbeit mit Christine so gut ist, ist die Grundvoraussetzung für Weiterentwicklung und Gelingen.
Christine Baumann: Das sehe ich umgekehrt genauso. Manchmal kommt es mir vor, als seien wir ein Team, das sich versteht ohne Worte und gegenseitig blind vertraut.
Jürg Surber: Natürlich sind wir unterwegs auf einem längeren Weg, und manches kann noch wachsen. Und natürlich gibt es auch Grenzen technischer oder musikalischer Art oder in Bezug auf das mögliche Engagement einzelner. Andere wiederum gibt es, die könnten und möchten noch mehr… Wesentlich ist mir die Erfahrung als Gemeinschaft, und darum möchte ich auch niemanden ausschliessen. Dass immer auch wieder einmal junge MitspielerInnen zu uns stossen, ist zusätzlich wichtig. Meine Hoffnung und Befriedigung läge darin, dass man die Zusammenarbeit zwischen uns beiden, aber auch den guten Zusammenhalt innerhalb des Orchesters entsprechend am Klang hören und an der Ausstrahlung spüren kann.

Christine Baumann und Jürg Surber, ich danke euch sehr herzlich für das Gespräch.



10. August 2016
Moderation, Fotos und Gesprächsaufzeichnung: Regula Menges-Bachmann

Konzert in der Kantonsschule Trogen

Sonntag, 19. Juni 2016, 17 Uhr


Das Appenzeller Kammerorchester begleitet Maturanden und Maturandinnen der Kantonsschule Trogen.
Zur Aufführung kommen Werke von Antonio Vivaldi, Johann Baptist Georg Neruda, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Joaquín Rodrigo und Leonard Bernstein. (zum Programm)
Die jungen Solistinnen und Solisten stellen sich vor:

Nina Irniger

Ich bin Nina Irniger aus Wald und 18 Jahre alt. Seit ich sieben Jahre alt bin, spiele ich Geige. In einem Zwischenjahr nach der Matura wird sich hoffentlich herauskristallisieren, wie es mit meiner Ausbildung weitergehen wird. Das Geigenspiel bereitet mir immer wieder grosse Freude, und ich geniesse es sehr, mit andern zusammen zu musizieren.

Jonas Jud

19, wohnhaft in Trogen, klassischer Bass
Seit drei Jahren besuche ich den Gesangsunterricht bei Svetlana Afonina an der Kantonsschule Trogen. Musik verbindet Menschen, schafft Freu(n)de und bietet eine Plattform zur Entfaltung der eigenen Talente. Nach der Matura mache ich ein Zwischenjahr als Zivildiener im sozialen Bereich und möchte danach klassischen Gesang studieren. Nebenbei bin ich aktiver Jungscharleiter in der Jungschar Heiden-Walzenhausen.

Remo Kellenberger

Mein Name ist Remo Kellenberger. Ich komme aus Rehetobel und schliesse dieses Jahr die Matura an der Kantonsschule Trogen ab. Seit der 1. Klasse besuche ich den Instrumentalunterricht mit meinem Es-Horn. Das Musizieren in Ensembles oder grösseren Formationen bereitet mir viel Freude. Die Musik bildet für mich den idealen Ausgleich zum Lernen.

Tobias Kölla

Ich bin in Hundwil aufgewachsen und habe meine Matura im Sommer 2013 in Trogen gemacht.
Direkt danach bin ich nach Linz gezogen, um dort klassische Gitarre bei Michael Langer zu studieren. Nun habe ich mehr als die Hälfte von meinem Bachelorprogramm hinter mir und versuche mein Spiel und meine Kompositionen mit den erarbeiteten Fähigkeiten auszudrücken. Es freut mich ausserordentlich, als Solist mit einem Orchester auftreten zu dürfen. Als zweites künstlerisches Standbein spielen ein Studienkollege und ich als ein Fingerstyleduo, mit dem wir unsere eigenen Stücke und Arrangements auf die Bühne bringen.Ich freue mich sehr, eines der schönsten und bekanntesten Gitarrenkonzerte in meiner ehemaligen Ausbildungsstätte und mit tollen Musikern zum Besten geben zu dürfen.

Ralph Signer

Vor elf Jahren habe ich mit dem Bb-Cornet angefangen, und dieses Instrument begeistert mich immer wieder aufs Neue. Ich spiele in der Musikgesellschaft Brassband Rehetobel. Die Brassband ist eine ursprünglich englische Formation, die einzig Blech- und Perkussionsinstrumente beherbergt. Des Weiteren spiele ich Klavier, Volleyball, jogge und gehe velofahren. Ich schliesse an der Kantonsschule in diesem Jahr die Matura ab und werde anschliessend einen Studiengang Richtung Wirtschaft tätigen.

Das Musizieren bedeutet mir sehr viel. Gefordert sein, aber dennoch entspannen können, das ist das Wunder der Musik. Es ist zum einen Unterhaltung, aber auch Ablenkung und auch eine Art von Kommunikation. Vor allem aber bedeutet die Musik für mich den Ausdruck von Emotionen.

Claudio Söldi

Mein Name ist Claudio Söldi. Momentan bin ich Schüler im letzten Jahr des Gymnasiums an der Kanti Trogen. Dort profitiere ich vom Gesangsunterricht bei Svetlana Afonina. Die Stimme scheint mir das Persönlichste aller Instrumente zu sein. Denn die Kunst liegt darin, es zuerst passend für sich zusammenzubauen. Diese Individualität fasziniert mich und hilft mir, Gefühle auszudrücken, was wohl das Grundlegendste in der Musik ist.

Cheyenne Sonderegger

Ich bin Cheyenne Sonderegger, 18 Jahre alt und bin im letzten Jahr der Kantonsschule Trogen. Ich spiele schon seit vielen Jahren Violine, und ich möchte auch nach meinem Abschluss diese wunderschöne Tätigkeit auf keinen Fall aufgeben. Die Musik lehrt mich enorm viel über mich selbst, und ich kann Dinge damit ausdrücken, wie es mit Worten nicht möglich wäre. Das ist es, was die Musik für mich so wertvoll macht.

Viviane Sonderegger

Ich heisse Viviane Sonderegger und habe vor kurzem meinen 20. Geburtstag gefeiert. Schon seit meiner Kindheit spiele ich mit Leidenschaft Klavier und Schlagzeug und habe deshalb eine besonders starke Verbindung zur Musik. Durch die Musik kann ich meine Emotionen ausdrücken und andere Menschen damit erreichen. Meine grosse Faszination möchte ich im Studium Musikwissenschaften nutzen, um meinen musikalisch-künstlerischen Horizont zu erweitern.

Lisa Wickart

Mein Name ist Lisa Wickart und ich bin 18 Jahre alt. Momentan bin ich im letzten Jahr der Kantonsschule Trogen. Musik ist meine grosse Leidenschaft: Ich nehme Gesangsunterricht, bin in der Funkband der Schule und nehme gerne an zahlreichen musikalischen Projekten wie diesem teil. Meine Zukunft nach dem geplanten Zwischenjahr ist noch nicht ganz klar, nur, dass ich die Musik nicht aus den Augen verlieren möchte.

 

TUTTI SOLI

Zwei Konzerte mit jungen Solistinnen und Solisten

Konzert in der Stuhlfabrik Herisau
Samstag, 17. Juni 2017, 19.30 Uhr

Konzert in der Kantonsschule Trogen
Sonntag, 18. Juni 2017, 17 Uhr


Das Appenzeller Kammerorchester begleitet Maturanden und Maturandinnen der Kantonsschule Trogen in einem vielseitigen Programm.

Die Solistinnen und Solisten stellen sich vor:

 
Raphael Date

Steckbrief:
•    Name: Raphael Date
•    Alter: 18 Jahre
•    Wohnort: Teufen
•    Ausbildung: KST, Schwerpunktfach Mathe-Physik, Ergänzungsfach Sport
•    Studiumwunsch: Medizin oder Materialwissenschaft
•    Hobbies: Leichtathletik, Akkordeon spielen, Silversterchlausen
•    Mein Instrument: Schon seit der 3. Klasse spiele ich Akkordeon. Mir gefällt am Instrument, dass man verschiedene Musikstile spielen kann.

Das Musizieren ermöglicht mir einen Ausgleich zum Alltag.
    

Lorena Dello Buono

Jahrgang: 1998
Wohnort: Bühler AR
Instrument: Stimme
Beruf: Schülerin, Maturaklasse der Kantonsschule Trogen
Hobbies: Singen, Klavierspielen, Freunde treffen   

Seit ich die Kantonsschule besuche, nehme ich Sologesangsstunden bei Frau Svetlana  Afonina. Singen und  Musik spielen in meinem Leben eine grosse Rolle. Diese Leidenschaft möchte ich gerne für meine Zukunft beibehalten und weiterhin pflegen.

 
Anna Kölbener

Mein Name ist Anna Kölbener, ich bin 18 Jahre alt und komme aus Stein. In meiner Freizeit mache ich sehr viel Musik. Besonders liebe ich es, mich an verschiedenen Instrumenten und in diversen Formationen zu versuchen. Mein Hauptinstrument ist und bleibt aber das Violoncello.

Die Musik ist meine grosse Leidenschaft, in der ich mich entfalten kann. Nach bestandener Maturität möchte ich Schulmusik an der zhdk in Zürich studieren.

 
Tereza Kotlanova

Mein Name ist Tereza Kotlanova und ich studiere seit 2016 klassischen Gesang an der Musikhochschule Luzern bei Professorin Barbara Locher. Davor besuchte ich die Kantonsschule Trogen und genoss Gesangsunterricht bei Frau Svetlana Afonina, welche mich vor allem in den letzten zwei Jahren intensiv auf das Musikstudium vorbereitet hat.

Die Musik nahm schon immer eine wichtige Stelle in meinem Leben ein, und sich so intensiv mit ihr zu beschäftigen, ist für mich das Schönste, was es gibt. Ich hoffe, dass ich auch nach dem Studium die Chance habe, mit der Musik mein Leben zu erfüllen, und die Tätigkeit als Musikerin professionell ausüben kann.

 
Flavia Langer
Flavia Langer (18)
Wohnort: Heiden
Instrument: Klavier
Ich mache dieses Jahr die Matura an der KST.

Die Musik lenkt mich ab und lässt mich abschalten. Viel Freude bereitet mir auch das Tennis- und Volleyballspielen.

 
Dorothée Purghart

Jahrgang: 1998
Wohnort: Teufen AR
Instrument: Klavier
Beruf: Schülerin, Maturandenklasse an der Kantonsschule Trogen
Hobbies: Volleyball, Malen, Freunde treffen

Ich finde es faszinierend, wie man mit nur weissen und schwarzen Tasten jedem Menschen ein eigenes Klangbild in den Kopf malen kann.

 
Mirjam Tanner

Jahrgang: 1997
Wohnort: Waldstatt
Instrument: Klavier, seit 9 Jahren
Ausbildung: Kantonsschule Trogen
Hobbies: Unihockey, Geräteturnen, mit Freunden etwas unternehmen
                              
Für mich bedeutet das Klavierspielen eine Welt, in die ich eintauchen kann und in der ich selbst bestimmen kann, wie sie aussieht. Es gefällt mir, wie man durch die Musik alle möglichen Gefühle ausdrücken kann.

 

Nisi Dominus: Übersetzung

(Vulgata Psalm 126)
 
Lateinische und deutsche Übersetzung

 
Nisi Dominus aedificaverit domum,
in vanum laboraverunt qui aedificant eam.
Nisi Dominus custodierit civitatem,
frustra vigilat qui custodit eam.
Wenn nicht der Herr das Haus baut,
mühen sich umsonst, die daran bauen.
Wenn nicht der Herr die Stadt behütet,
wacht, der sie behütet, umsonst.

Vanum est vobis

ante lucem surgere.


Umsonst ist es,
dass ihr vor Tagesanbruch aufsteht.

Surgite
postquam sederitis,
qui manducatis panem doloris.

Steht auf,
nachdem ihr euch gesetzt habt,
ihr, die ihr das Brot der Kümmernis esst.

 

Cum dederit dilectis suis somnum.
Ecce haereditas Domini,
filii:
merces fructus ventris.

Denn seinen Geliebten gibt er
Schlaf.
Seht, das ist das Erbe des Herrn: Söhne;
ein Lohn ist die Frucht des Leibes.


Sicut sagittae
in manu potentis,
ita filii excussorum.


Wie Pfeile in der Hand des Mächtigen,
so sind die Söhne der Jugendzeit.


Beatus vir
qui implevit desiderium suum ex ipsis:
non confundetur

cum loquetur inimicis suis
in porta.


Glücklich der Mann, der sein Verlangen erfüllt hat mit ihnen:
er wird nicht aus der Fassung kommen,
wenn er mit seinen Feinden spricht
im Tor.


Gloria
patri et filio
et spiritui sancto


Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem heiligen Geist,


Sicut erat in principio

et nunc et semper
et in saecula saeculorum.


wie es im Anfang war
und jetzt und immer
und von Ewigkeit zu Ewigkeit.


Amen
.


Amen.

 
Der lateinische Text der Vulgata
unterscheidet sich vom klareren
Urtext der hebräischen Bibel
(dort und in den meisten
deutschen Übersetzungen
Psalm 127).




Übersetzung: Regula Menges-Bachmann

Interview mit Marc Fahrni

Der Präsident des Appenzeller Kammerorchesters erzählt aus seinem Leben

Marc Fahrni, als du mir zusagtest, für ein Interview zur Verfügung zu stehen, war es dein Vorschlag, dass wir uns dafür in St. Gallen zum Mittagessen in einem vietnamesischen Restaurant treffen. Was an diesem Vorschlag ist ‚typisch Marc‘?

Marc Fahrni: Typisch für mich ist bestimmt, dass ich jede Zeitlücke nutze. Das kann natürlich dann leider auch einmal eine Verspätung zur Folge haben, wenn ich mir zu viel vornehme! Eine grosse Mittagspause mache ich nie, darum schätze ich es, wenn es im Restaurant schnell geht. Ausserdem liebe ich scharfes asiatisches Essen.

Warst du denn schon in Asien?

Marc Fahrni: Nein. Aber Reisen unternehme ich schon gern. Und wenn ich dann unterwegs bin, bin ich offen für alle Kulturen, auch was das Essen angeht.

Die Stadt St. Gallen ist dein Arbeitsort. In Trogen wohnst du, mitten im Dorf. Wie erlebst du das Hin und Her?

Marc Fahrni: Darüber habe ich gar nicht nachgedacht bisher. Ich mache den Weg einfach. Früher bin ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Seit einigen Jahren schätze ich es, in der Trogener Bahn Zeit zum Lesen zu haben, Fachliteratur zum Beispiel oder Berichte, für die ich sonst schlecht die Ruhe finde. Ausserdem lässt es sich im Zug leichter abschalten.

Und wo, würdest du sagen, hast du deine Wurzeln?

Marc Fahrni: Aufgewachsen bin ich in Amriswil. Studiert habe ich in St. Gallen. Aber die Wurzeln? Die habe ich inzwischen längst in Trogen. Und ein wenig auch in England. Meine Mutter stammt von dort, und so bin ich, wie auch meine Kinder, schweizerisch-englischer Doppelbürger. Sehr gern verbringe ich meine Ferien in England, wo ich ja auch Verwandte habe.

Bleiben wir noch ein wenig bei deinem Arbeitsort. Du arbeitest im Migrationsamt des Kantons St. Gallen. Migration ist ein Schlagwort heute, und sofort fallen mir die zunehmenden Flüchtlingsströme in der Welt ein, die schwierigen politischen Diskussionen rings um die Migration. Wie sieht dein beruflicher Alltag aus?

Marc Fahrni: Mit Flüchtlingsströmen habe ich wenig zu tun, überhaupt mit konkreten Fällen von Migration, mit inhaltlichen Fragen also. Als ausgebildeter Betriebsökonom und Wirtschaftsinformatiker bin ich Leiter der Zentralen Dienste des Migrationsamts. Das ist eine administrative Aufgabe, die viel mit Informatik und Finanzen zu tun hat, aber natürlich auch mit Personalführung. Selbstverständlich gibt es aber auch einzelne inhaltliche Fragen, in die ich als Mitglied der Geschäftsleitung des Migrationsamts mit involviert bin. Im Moment geht es zum Beispiel um die Eröffnung des fünften Asylzentrums im Kanton. Asylfragen sind übrigens nur ein Bereich, mit dem das Migrationsamt befasst ist. Viel wichtiger ist der Bereich ‚Ausländer‘, denn mittlerweile ist ein Viertel der Kantonsbevölkerung ausländisch; der Grossteil stammt aus einem EU-Land. Der dritte Bereich umfasst die Ausweisstelle, welche Pässe und Identitätskarten ausstellt.

Was gefällt dir besonders an deiner Arbeitsstelle?

Marc Fahrni: Ich habe das Glück, dass wir auf eine sehr fortschrittliche Informatikinfrastruktur zugreifen können. Wir haben beispielsweise einen weit entwickelten Online-Schalter für sehr viele Kundenkontakte. Es gefällt mir besonders, daran mitzuarbeiten, dass diese Anwendungen für die Kundschaft immer noch einfacher zu handhaben und besser zu nutzen sind. Ebenfalls erfüllt mich mit Genugtuung, dass unser Amt sich zu einem grossen Teil finanziell selbst trägt, was nicht selbstverständlich ist.

Ein intensiver Arbeitsalltag also, stelle ich mir vor. Wie gestaltest du nach einem Arbeitstag deine Abende, das Wochenende?

Marc Fahrni: Wenn ich nach Hause komme, gewähre ich mir, wenn immer möglich, zwei Stunden Familienzeit. Nicht immer ist das natürlich möglich. Und öfters muss ich auch anschliessend noch einmal weg zu einer Sitzung oder zur Orchesterprobe. Das Wochenende aber gehört der Familie. Am Sonntag stehe ich jeweils früh auf und erledige Aufgaben, die sich aus meiner Tätigkeit als Gemeinderat ergeben. Dann aber ist Zeit zum gemeinsamen Wandern, zum Jassen oder Spielen überhaupt in der Familie. Diese Zeit ist mir ganz wichtig. Da kann ich mich erholen.

Wer gehört denn zu deiner Familie?

Marc Fahrni: Meine Frau Myrta und vier Kinder im Alter von 13, 15, 17 und 18 Jahren. Da bin ich gefordert mit Diskussionen, manchmal auch als Aufgabenhilfe. Und schön ist es, wenn alle Zeit finden für einen gemeinsamen Fernsehabend. Meine Familie nimmt in meinem Leben viel Raum ein, und ich gebe ihr bewusst den Vorrang. Früher bin ich leidenschaftlich gern gesegelt, habe sogar einmal den Atlantik überquert. Das habe ich sehr stark reduziert in den letzten Jahren und den Golfsport sogar ganz aufgegeben. Nur mit meiner Frau wünschte ich mir manchmal, mehr Zeit verbringen zu können…

Du hast bereits angetönt, dass du dich in Trogen als Gemeinderat engagierst. Seit wie vielen Jahren bist du politisch aktiv und welchem Ressort stehst du vor?

Marc Fahrni: Vor Jahren war ich in Trogen in der Geschäftsprüfungskommission aktiv. Das war sozusagen der Anfang meiner politischen Tätigkeit. Nach einer Pause stellte ich mich vor siebeneinhalb Jahren als Gemeinderat zur Verfügung, bin seither in der  Baukommission und seit anderthalb Jahren Baupräsident.

Was reizt dich an dem Amt?

Marc Fahrni: Dass ich gestalten kann, klar! Nur zu verwalten läge mir nicht. Natürlich ist das nicht immer einfach. Ich empfinde es aber als grosse Befriedigung, im Bauwesen die Richtung angeben zu können. Das braucht manchmal auch viel Feingefühl. Ich schätze die Verhandlungen mit Bauherren und Einsprechern, bei denen das Ziel jeweils die Einigung ist. Und gewiss liegt der Grund meines Einsatzes für Trogen auch darin, dass ich der Gemeinschaft etwas von dem, was wir von unserem Wohnort empfangen, zurückgeben möchte. Und in der Funktion des Gemeinderats und speziell in meinem Ressort kann ich meine Gaben auch sinnvoll einsetzen, denke ich.

Gibt es neben der Befriedigung anderes, das dir an deinem Amt Mühe macht und dich manchmal fragen lässt, ob sich der ganze Einsatz überhaupt lohnt?

Marc Fahrni: Natürlich! Aber da geht es mir wohl gleich wie allen anderen, die in der Öffentlichkeit stehen. Auf der persönlichen Ebene angeschossen zu werden ist unschön. Dagegen lässt sich jedoch auch eine gewisse Elefantenhaut entwickeln… Aber wie gesagt: Insgesamt habe ich Freude an meiner Aufgabe für die Gemeinde, und ich kann allen nur empfehlen, auch einmal ein Amt zu übernehmen oder sich in einer Kommission einzubringen. Da kann auch persönlich viel gelernt werden!

Unser Interview ist ja bestimmt für die Homepage des Appenzeller Kammerorchesters. Du spielst da Cello. Kannst du sagen, wie lang du schon im Orchester musizierst?

Marc Fahrni: Oh, das müssen etwa zwanzig Jahre sein…

Das war also noch im Kammerorchester Appenzeller Mittelland und damit vor der Fusion mit dem Kammerorchester Herisau im Jahr 2007. Wie würdest du eure Orchestertätigkeit  im Mittelland damals schildern?

Marc Fahrni: Wenn ich mich recht erinnere, haben wir im Vergleich zu heute weniger systematisch gearbeitet. Aber natürlich haben wir auch Konzerte gegeben, regelmässig in Trogen und in Speicher, und auch Gottesdienste in den Kirchen haben wir musikalisch gestaltet. Wir waren stärker regional verankert. Nur waren wir halt ein sehr kleines Orchester, und wenn dann jemand ausfiel… Aber Celli waren immer genug da!

So war die Fusion mit dem Herisauer Kammerorchester vor sieben Jahren ein Schritt der Vernunft?

Marc Fahrni: Das kann man wohl so formulieren. Allerdings gab es früher schon einen kurzen Versuch der beiden Orchester, sich zusammen zu tun. Und ich erinnere mich: es hat Spass gemacht. Trotzdem war die Fusion zum Appenzeller Kammerorchester schliesslich nicht ganz einfach. Einzelne wollten nicht weiter mitspielen im grösseren kantonalen Orchester, und erst nach drei Jahren - schätzungsweise - waren wir wirklich zu einem Ganzen zusammengewachsen. Das ist wesentlich das Verdienst unseres Dirigenten Jürg Surber. Seine sorgfältige Probenarbeit wird, denke ich, von allen sehr geschätzt. Ausserdem haben wir, einfach weil wir mehr Leute sind, nun vielfältigere Möglichkeiten, eine grössere Flexibilität. Dass wir inzwischen zu einer gemeinsamen Orchesterkultur gelangen konnten, hat aber auch mit dem gegenseitigen Respekt aller zu tun, mit der guten Gemeinschaft inzwischen. Schliesslich braucht es nur schon einiges an Bereitschaft und Einsatz von Seiten der Orchestermitglieder, um an den beiden Probeorten Herisau und Trogen festhalten zu können. Die Anfahrtswege im Winter sind ja manchmal eine ziemliche Herausforderung!

Bei der Fusion hast du dich als Präsident zur Verfügung gestellt. Was ist deine Motivation, dich für unser Orchester zu engagieren? Und worin bestehen deine hauptsächlichen Aufgaben?

Marc Fahrni: Im Kammerorchester Appenzeller Mittelland war ich bereits Kassier. An der Aufgabe des Präsidenten gefällt mir speziell, dass ich die Verantwortung für die gesamte Führung habe, fürs Management zuständig bin also. Das mache ich gern. Dabei liegt die Hauptsache darin, dass ich Spielräume eröffne, damit jede und jeder seine Fähigkeiten für die Gemeinschaft einbringen kann: zum Beispiel der Betreiber unserer Homepage oder der Kassier im Kontakt mit den Sponsoren, die Konzertmeisterin und der Dirigent in der musikalischen Führung… Jede und jeder hat seine Gaben. Entsprechend meine ich, dass die Aufgaben innerhalb des Vorstands auch gut verteilt sind. Mir obliegen dabei vor allem die Sitzungsleitung und die Werbung. Manchmal gilt es auch bilateral mit dem Dirigenten etwas abzusprechen, eine kurzfristige Anfrage etwa zu einer Orchestermitwirkung zu beantworten. Und wie die anderen Vorstandsmitglieder auch bin ich zuständig für die Organisation der Konzerte an den einzelnen Aufführungsorten. Wir teilen uns da auf. Ein spezielles Engagement erforderte die Organisation der Delegiertenversammlung des Eidgenössischen Orchesterverbands in Heiden mit über 120 Teilnehmenden. Da war ich im Volleinsatz – solches mache ich gern.

Vor wenigen Wochen ist mit der Oper ‚Spinnen‘ von Peter Roth ein ganz besonderes, auch ein aufwendiges Projekt mit vielen verschiedenen Mitwirkenden zu seinem Ende gekommen. Die vier Aufführungen waren ausgebucht und haben ein grosses Echo gefunden. Welche Erinnerungen sind dir zuvorderst im Rückblick?

Marc Fahrni: Zuerst gewiss die Entwicklung innerhalb der Probenarbeit. Lustlos machte ich mich zu Beginn ans Üben zu Hause, und auch die ersten Proben im Orchester waren vor allem mühsam. Aber das Proben hat sich gelohnt. Als kurz vor den Aufführungen die ZuzügerInnen zum Orchester stiessen, als der umfangreiche Chor und die SolistInnen ihren Part übernahmen, da wurden wir zu einem grossen Gesamtklangkörper. Ergreifend. Auch in sehr guter Erinnerung ist mir die Zusammenarbeit des Komponisten und Dirigenten Peter Roth und des Orchester- und Chordirigenten Jürg Surber. Sie waren ein ausgezeichnetes Gespann, was überhaupt nicht selbstverständlich ist. Ja, und dann bleibt mir die Peitsche in Erinnerung, die mich zu Beginn in nächster Nähe hinter meinem Rücken erschreckte. Und die wunderschöne Tenorstimme des Solisten.

Du könntest dir also vorstellen, auf eine ähnliche Anfrage hin auch wieder die Mitwirkung des Orchesters zuzusagen?

Marc Fahrni: Ja klar, auf jeden Fall! Aber nicht gleich sofort wieder. In drei bis vier Jahren kann ich mir aber sehr gut vorstellen, wieder etwas Zeitgenössisches ins Programm aufzunehmen. Ein gut spielbares modernes Stück gibt ja ein wenig ‚Pfeffer‘ ins musikalische Leben, ist jedenfalls eine gute Abwechslung.

Die nächsten Konzerte, auf welche das Appenzeller Kammerorchester hinarbeitet, sind ganz anderer Art. Kannst du bereits etwas dazu sagen?

Marc Fahrni: Mit der 1. Symphonie von Beethoven haben wir ein sehr anspruchsvolles grosses Werk gewählt. Es wird zusammen mit weiteren Stücken verschiedener Komponisten an zwei Kirchenkonzerten in Rehetobel und in Urnäsch zur Aufführung gelangen. Da sind wir eingebunden in ein lokales Gesamtprogramm. Zu einer grösseren organisatorischen Herausforderung wird allerdings das Konzert in der Lokremise in St. Gallen werden. Dieser ganz von uns organisierte Anlass ist ein Wagnis, auch finanziell. Zudem braucht die Werbung hier besondere Aufmerksamkeit. Die Vorfreude aber, auch die Freude am Ausprobieren von Neuem überwiegen die Fragezeichen. Ich bin gespannt!

Mich interessiert, wie ein Konzertprogramm überhaupt zustande kommt.

Marc Fahrni: Meistens ist es so, dass der Dirigent Jürg Surber zusammen mit der Konzertmeisterin Christine Baumann die Hauptidee für das nächste oder die nächsten Konzerte vorbespricht. Anschliessend wird im Vorstand darüber diskutiert. Die Auswahl zusätzlicher Stücke und allenfalls auch die Anfrage von ZuzügerInnen oder SolistInnen liegen dann bei Jürg Surber und Christine Baumann, ebenso wie die gesamte musikalische Leitung. Der Vorstand seinerseits beschliesst, wie oft ein Programm aufgeführt wird und an welchen Orten. Dafür wird ein Budget erstellt, denn der finanzielle Aspekt spielt selbstverständlich auch eine wichtige Rolle. Anschliessend verteilen die Vorstandsmitglieder unter sich, wer die Organisation für die einzelnen Konzertorte übernimmt.

Das klingt nach einer klaren Struktur.

Marc Fahrni: Das stimmt. Alle im Vorstand haben ihre eigene Aufgabe, und so ist es auch in der musikalischen Leitung. Wichtig scheint mir der Respekt voreinander zu sein und vor dem, was jede und jeder mit seinen Fähigkeiten leisten kann. Meine Aufgabe als Präsident sehe ich darin, Freiräume zum Gestalten offen zu lassen, zu motivieren und den Dialog zu fördern. Und es liegt auch an mir, den weiteren Zeithorizont im Auge zu behalten und jeweils frühzeitig die Jahresplanung anzugehen.

Insgesamt, habe ich den Eindruck, bist du als Präsident ganz zufrieden damit, wie es zur Zeit im Orchester läuft. Siehst du trotzdem an gewissen Stellen Verbesserungsmöglichkeiten?

Marc Fahrni: Es gab eine Zeit, da diskutierten wir im Vorstand über eine weitere Professionalisierung, konkret über die Besetzung aller Stimmführungen durch Profi-MusikerInnen. Weil wir zur Zeit aber glücklicherweise über ausgezeichnete MusikerInnen an den ersten Pulten verfügen, hat der Vorstand den Gedanken wieder beiseite gelegt. Sorge bereitet mir und dem Vorstand überhaupt aber der fehlende Nachwuchs. Zwar ist es so, dass immer einmal wieder Neue zu unserem Orchester stossen. Aber der Altersdurchschnitt könnte durchaus eine Verjüngung vertragen! Es wäre wichtig, jüngere Mitglieder zum Mitspielen gewinnen zu können.

Gibt es da schon konkrete Ideen?

Marc Fahrni: Eine vage Idee bestand darin, ein kantonales Jugendorchester auf die Beine zu stellen. So könnte ab und zu ein gemeinsames Konzert gestaltet werden, und vielleicht, vielleicht kämen Jugendliche schliesslich auf die Idee, in unserem ‚Erwachsenenorchester‘ mitwirken zu wollen. Aber ob es dafür in unserem Kanton überhaupt genug jugendliche MusikerInnen gibt? Eine andere Idee ist, mehr projektorientiert zu arbeiten, damit sich junge Menschen weniger verpflichtet fühlen.

Diese Möglichkeit gibt es ja teilweise in anderen Vereinen inzwischen bereits. Zunehmend wird es schwierig, Leute zu gewinnen, die als Mitglieder mitgestalten und erst recht sich in einem Vorstand engagieren wollen.

Marc Fahrni: Das stimmt. Aber solange wir als Amateurorchester auf so hohem Niveau Musik machen, habe ich für unser Orchester keine Angst. Noch immer haben wir, wenn jemand das Orchester verlassen hatte, auch wieder Ersatz gefunden. Möglich, ja, dass der Trend in Richtung Projekte geht. Aber Dringlichkeit dafür besteht für uns heute nicht.

Du gehst also davon aus, dass die klassische Musik auch weiterhin Zukunft hat, bei Spielenden und Hörenden? Oder wird sie im Altersheim enden?

Marc Fahrni: Nein, nein! Auch Leute, die heute den Zugang zur klassischen Musik gefunden haben, bevorzugten in ihrer Jugend einen anderen Stil. Was aber schon stimmt: Es sind ältere Menschen mit freier Zeit und einer gewissen finanziellen Stärke, welche die klassische Musik aufrechterhalten. Auf ihren Möglichkeiten und ihrer Unterstützung fusst auch unsere Orchestertätigkeit.

Eine Frage noch an dich als aktiven Cellisten: Was bedeutet dir die Musik persönlich?

Marc Fahrni: Die Musik ist für mich Ausgleich. Das ist ganz leicht zu sagen. Ausgleich im Sinn einer Herausforderung in einem ganz anderen Bereich als dem der Informatik und der Finanzen. Die Musik vernetzt Körper, Körperteile, die Seele. Und zu merken, wie Übung zu musikalischen Erfolgserlebnissen führen kann, macht Freude.

Hast du musikalische Vorlieben beim Spielen oder beim Hören?

Marc Fahrni: Nein. Wir besitzen zu Hause eine ziemlich umfangreiche CD-Sammlung, und einmal wähle ich diesen Komponisten aus, dann einen anderen. Allerdings, fällt mir auf: Am häufigsten höre ich doch Mozarts Musik.

Wenn du die Zeit und die Möglichkeit hättest, ein weiteres Instrument zu lernen: Welches würdest du wählen?

Marc Fahrni: Spontan fällt mir die Orgel ein. Oder die eigene Stimme. Ja, am ehesten würde ich gern wieder mit dem Singen beginnen.

Wir sind am Ende unseres Interviews angelangt. Eine letzte Frage noch: Du hast einen Wunsch, erfüllbar oder nicht, offen. Was wünschst du dir?

Marc Fahrni: Für mich persönlich wünschte ich, mehr Zeit zu haben für Kreatives. Fürs Orchester, dass es gleich gut weiter auf dem Weg ist wie die letzten sieben Jahre.

Marc Fahrni, ich danke dir sehr herzlich für das Gespräch.

 

Interview: Regula Menges-Bachmann (Oktober 2014)




Charles Camille Saint-Saëns  wurde am 9. Oktober 1835 in Paris geboren. Früh wurde er musikalisch gefördert und schrieb bereits als Kind erste Kompositionen. Er studierte am Pariser Konservatorium Klavier, Orgel und Komposition und gewann mit seinen Werken rasch Ansehen beim französischen Bürgertum. Er war Organist an verschiedenen Pariser Kirchen, zuletzt bis 1877 an der Eglise de la Madeleine, lehrte in seinen jungen Jahren Klavier und fungierte als Dirigent und Pianist eigener Werke. Zusammen mit César Franck gründete er 1871 die Société Nationale de Musique, die der Pflege neuerer französischer Musik dienen sollte.
1875 verheiratete sich der Vierzigjährige mit Marie-Laure Truffot; die zwei Söhne starben 1878. Nach wenigen schwierigen Ehejahren verliess Saint-Saëns seine Frau. 1881 wurde er in die Académie des Beaux-Arts gewählt und in der Folge mit weiteren nationalen Ehrungen bedacht. Mit zunehmendem Alter galt Saint-Saëns, der mehrere musikgeschichtliche Epochen und Stilwandel erlebt hatte, als konservativ, und sein Ruhm begann zu verblassen. In seinen letzten Lebensjahren führten ihn Reisen nach Nordafrika und Amerika. Am 16. Dezember 1921 verstarb er in Algier und wurde beigesetzt auf dem Friedhof Montparnasse in Paris.

Das Werk von Saint-Saëns ist immens und umfasst praktisch alle musikalischen Gattungen seiner Zeit: Sinfonien, symphonische Dichtungen, Orchestersuiten (bekannt ist der Carnaval des animaux von 1886), mehrere Konzerte für Klavier, Violine und Violoncello, Oratorien, Kantaten, Motetten, Opern, Lieder, Kammer-, Klavier- und Orgelmusik. Saint-Saëns verfasste auch verschiedene musikalische Schriften.
Das Oratorio de Noël ist eines der bekanntesten Werke von Saint-Saëns und wird in der Weihnachtszeit gern aufgeführt. Das Jugendwerk wurde 1860 abgeschlossen, kam aber erst 1869 in der Eglise de la Madeleine zur Uraufführung. Die Druckausgabe erschien im selben Jahr bei einem renommierten Pariser Verlag als Opus 12. Die Komposition im frühromantischen Stil ist eine Vertonung verschiedener Texte aus der lateinischen Bibel, die vom  Weihnachtsgeschehen erzählen oder darauf bezogen werden. Saint-Saëns wählte für sein Oratorio eine exquisite Besetzung mit fünf GesangssolistInnen, Chor, Streichorchester, Orgel und Harfe.

Befragt nach ihrer Motivation, ihren Vorstellungen und Wünschen, nach den Vorbereitungen im Hinblick auf die Adventskonzerte schreibt die Initiantin und Dirigentin Kathrin Pfändler Kehl Folgendes:



Seit ich das Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saëns vor etwa 20 Jahren an einem Dirigentenkurs kennen gelernt habe, hat es mich nicht mehr losgelassen. Ich habe gewusst: Irgendeinmal werde ich dieses Werk aufführen.
Mit dem Frauenchor Rorschacherberg habe ich im Jahr 2011 anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums zum ersten Mal ein Grossprojekt in Angriff genommen– die Toggenburger Passion von Peter Roth. Ein rund 100-köpfiger Gemischtchor, Solisten, ein grösseres Musikensemble, packende Musik, aussagekräftige Bilder - ein Riesenerfolg. Viele der Musiker sind Mitglieder des Appenzeller Kammerorchesters gewesen, vermittelt durch dessen Dirigenten Jürg Surber, den ich seit vielen Jahren kenne und schätze.

Von diesem Erfolg angespornt wünschten sich meine Sängerinnen für 2013 ein zweites Grossprojekt. Endlich sah ich die Gelegenheit gekommen, mein Lieblingsoratorium zu planen. Nach einem längeren Gespräch mit Jürg Surber (und Rücksprachen mit seinem Vorstand) steht fest, sein Orchester ist dabei. Super!

Die drei Aufführungsorte sind schnell bestimmt:
In Winkeln haben wir die Passion aufgeführt gehabt, eine ganz tolle Kirche. In diesem Raum möchte ich gerne wieder auftreten.
Eine wichtige Rolle im Oratorium spielt die Orgel. Die Hausorgel meiner Organistin steht in Mörschwil. Somit ist auch der 2. Auftrittsort gegeben.
Die dritte Kirche soll im Appenzellerland sein wegen des Orchesters. Dieses wünscht sich die Kirche in Trogen. Gesagt, getan.

Es gab nun einfach ein grosses Problem: Das Oratorium ist nicht abendfüllend. Womit ergänze ich? Was passt? Wie soll der Aufbau des Programms aussehen?

Zu dieser Zeit befand sich mein Mann für längere Zeit im Spital. Zufällig hörte er eines Tages Radio. Da kam ihm eine Idee: „Die 4 Kerzen des Adventskranzes. Wir zünden eine nach der anderen an, musikalisch und in Echt. So hat fast jede Musik Platz. Als letzte, mächtigste Kerze, mit allen Beteiligten kommt dann das Weihnachtsoratorium.“

Die dritte Kerze ist schnell gefunden. Anlässlich der Proben für das Festspiel in Hundwil haben mein Mann und ich die Musik von Noldi Alder schätzen und lieben gelernt. 2 seiner Stücke passen bestens in unser Programm. ‚För en Chlaus’, da wir ja am Chlauswochenende unsere Konzerte haben werden. Und wenn ich an das ‚Ave Maria’ und an die tolle Stimme von Susanne Seitter denke – dann läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

Für die zweite Kerze (Chor a cappella) suchen Jürg Surber und ich nach passenden Möglichkeiten, bis wir auf den Psalm 100 von Felix Mendelssohn-Bartholdy stossen. Da der Projektchor aus rund 90 Sängerinnen und Sängern besteht, sollte der achtstimmige Mittelteil gut zu bewältigen sein.

Die Wahl der ersten Kerze (nur Orchester) liegt bei Jürg Surber. Ich freue mich auf diese Stücke.

Ich freue mich riesig, dieses Jahr mit einem ‚ganzen’ Orchester arbeiten zu dürfen und hoffe ganz fest, dass unser Konzept auch beim Publikum ankommen wird.

Requiem Übersetzung

 

 

I Introitus

 
Requiem aeternam dona eis, Domine,
Et lux perpetua luceat eis.
Te decet hymnus, Deus, in Sion,
Et tibi reddetur votum in Jerusalem.
Exaudi orationem meam.
Ad te omnis caro veniet.
Requiem aeternam dona eis, Domine,
Et lux perpetua luceat eis.
Ewige Ruhe schenk ihnen, Herr,
Und fortwährendes Licht leuchte ihnen.
Dir gebührt Lobgesang, Gott, in Zion,
Und dir soll das Gelübde erfüllt werden in Jerusalem.
Erhöre mein Gebet.
Zu dir wird alles Fleisch kommen.
Ewige Ruhe schenk ihnen, Herr,
Und fortwährendes Licht leuchte ihnen.

 

II Kyrie

 
Kyrie, eleison.
Christe, eleison.
Kyrie, eleison.
Herr, erbarme dich.
Christus, erbarme dich.
Herr, erbarme dich.

 

III Sequenz

 
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla
Teste David cum Sibylla.
Quantus tremor est futurus,
Quando iudex est venturus
Cuncta stricte discussurus.
Der Tag des Zorns, jener Tag
Wird die Welt in Asche auflösen,
Wie David bezeugt zusammen mit (dem Orakel) der Sibylle.
Wieviel Zittern wird es geben,
Wenn der Richter erscheinen wird,
Um alles streng zu prüfen.
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum
Coget omnes ante thronum.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura
Iudicanti responsura.
Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur.
Iudex ergo, cum sedebit,
Quidquid latet, apparebit.
Nil inultum remanebit.
Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix iustus sit securus?
Eine Posaune wird einen wunderlichen Klang verbreiten
Durch die Gräber der Weltgegenden,
Und sie wird alle vor den Thron zwingen.
Der Tod wird erschauern und die Natur,
Wenn die Schöpfung auferstehen wird,
Um dem Richter Rechenschaft zu geben.
Ein geschriebenes Buch wird hervorgeholt werden,
In dem alles enthalten ist,
Woraus die Welt gerichtet werden soll.
Wenn der Richter dann sitzen wird,
Wird, was auch immer verborgen ist, zum Vorschein kommen.
Nichts wird ungestraft bleiben.
Was werde ich Elender dann sagen?
Welchen Anwalt werde ich erbitten,
Wenn kaum der Gerechte sicher ist?
Rex tremendae maiestatis,
Qui salvandos salvas gratis,
Salva me, fons pietatis.
König von furchtbarer Hoheit,
Der du die zur Rettung Bestimmten rettest umsonst,
Rette mich, du Quelle der Gnade.
Recordare, Jesu pie,
Quod sum causa tuae viae,
Ne me perdas illa die.
Quaerens me sedisti lassus,
Redemisti crucem passus.
Tantus labor non sit cassus.
Iuste iudex ultionis,
Donum fac remissionis
Ante diem rationis.
Ingemisco tamquam reus,
Culpa rubet vultus meus.
Supplicanti parce, Deus.
Qui Mariam absolvisti
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Preces meae non sunt dignae,
Sed tu, bonus, fac benigne,
Ne perenni cremer igne.
Inter oves locum praesta
Et ab haedis me sequestra
Statuens in parte dextra.
Erinnere dich, gnädiger Jesus, (daran),
Dass ich der Grund bin für deinen Weg,
Damit du mich nicht vernichtest an jenem Tag.
Gesucht hast du mich und dich müde niedergesetzt,
Hast (mich) erlöst, indem du das Kreuz erlittest.
So grosse Mühe sei nicht vergeblich.
Gerechter Richter der Vergeltung,
Mach das Geschenk der Vergebung
Vor dem Tag der Abrechnung.
Ich seufze als ein Schuldiger;
Vor Schuld ist rot mein Gesicht.
Den demütig Bittenden verschone, Gott.
Der du Maria freigesprochen
Und den Verbrecher erhört hast,
Hast du auch mir Hoffnung gegeben.
Meine Bitten sind (es) nicht wert,
Aber du, Guter, erweise Güte,
Damit ich nicht im ewigen Feuer verbrenne.
Unter den Schafen gewähre (mir) einen Platz
Und von den Böcken sondere mich ab,
Indem du (mich) auf die rechte Seite stellst.
Confutatis maledictis,
Flammis acribus addictis
Voca me cum benedictis.
Oro supplex et acclinis,
Cor contritum quasi cinis,
Gere curam mei finis.
Wenn zum Schweigen gebracht sind die Verdammten,
Den beissenden Flammen überlassen,
(Dann) ruf mich mit den Gesegneten.
Ich bitte demütig und mich neigend,
Das Herz reuig gleichsam wie Asche:
Trag Sorge zu meinem Ende.
Lacrimosa dies illa,
Qua resurget ex favilla
Iudicandus homo reus.
Huic ergo parce, Deus,
Pie Jesu Domine.
Dona eis requiem. Amen.
Tränenreich ist jener Tag,
An dem auferstehen wird aus der Asche
Zum Gericht der schuldige Mensch.
Diesen dann verschone, Gott,
Gnädiger Herr Jesus.
Schenk ihnen Ruhe. Amen.
IV Offertorium  
Domine Jesu Christe, rex gloriae,
Libera animas omnium fidelium defunctorum
De poenis inferni et de profundo lacu.
Libera eas de ore leonis,
Ne absorbeat eas tartarus,
Ne cadant in obscurum,
Sed signifer sanctus Michael
Repraesentet eas in lucem sanctam,
Quam olim Abrahae promisisti
Et semini eius.
Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit,
Befreie die Seelen aller verstorbenen Gläubigen
Von den Strafen der Hölle und vom abgründigen See.
Befreie sie aus dem Rachen des Löwen,
Damit sie die Unterwelt nicht verschlinge,
Damit sie nicht ins Dunkel fallen,
Sondern der Bannerträger, der heilige Michael,
Sie stellvertretend begleite in das heilige Licht,
Wie du einst Abraham verheissen hast
Und seiner Nachkommenschaft.
Hostias et preces tibi,
Domine, laudis offerimus.
Tu suscipe pro animabus illis,
Quarum hodie memoriam facimus.
Fac eas, domine, de morte transire ad vitam,
Quam olim Abrahae promisisti
Et semini eius.
Opfergaben und Bitten, Herr,
bringen wir dir zum Lob dar.
Nimm du sie entgegen für jene Seelen,
Derer wir heute gedenken.
Lass sie, Herr, vom Tod hinübergehen zum Leben,
Wie du einst Abraham verheissen hast
Und seiner Nachkommenschaft.
V Sanctus  
Sanctus, sanctus, sanctus,
Dominus Deus Sabaoth.
Pleni sunt coeli et terra gloria tua.
Hosanna in excelsis.
Heilig, heilig, heilig
Ist der Herr, Gott der Heerscharen.
Voll sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.
Hosanna in der Höhe.
VI Benedictus  
Benedictus, qui venit in nomine Domini.
Hosanna in excelsis.
Gelobt sei, der kommt im Namen des Herrn.
Hosanna in der Höhe.
VII Agnus Dei  
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi,
Dona eis requiem.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi,
Dona eis requiem.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi,
Dona eis requiem sempiternam.
Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt,
Schenk ihnen Ruhe.
Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt,
Schenk ihnen Ruhe.
Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt,
Schenk ihnen immerwährende Ruhe.
VIII Communio  
Lux aeterna luceat eis, Domine,
Cum sanctis tuis in aeternum,
Quia pius es.
Requiem aeternam dona eis, Domine,
Et lux perpetua luceat eis
Cum sanctis tuis in aeternum,
Quia pius es.
Ewiges Licht leuchte ihnen, Herr,
Mit deinen Heiligen in Ewigkeit,
Denn du bist gnädig.
Ewige Ruhe schenk ihnen, Herr,
Und fortwährendes Licht leuchte ihnen
Mit deinen Heiligen in Ewigkeit,
Denn du bist gnädig.

 


 

Übersetzung: Regula Menges-Bachmann




Camille Saint-Saëns, Oratorio de Noël

Übersetzung

 


1. Prélude
(Dans le style de Séb. Bach)

 


2. Récit et Chœur

 

Et pastores erant in regione eadem vigilantes,

Und Hirten waren in jener Gegend am Hüten

et custodientes vigilias noctis super gregem suum.

und hielten Nachtwache über ihre Herde.

Et ecce Angelus Domini stetit juxta illos,

Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen,

et claritas Dei circumfulsit illos,

und der Glanz Gottes umstrahlte sie,

et timuerunt timore magno.

und sie fürchteten sich sehr.

Et dixit illis Angelus:

Da sagte der Engel zu ihnen:

Nolite timere!

Fürchtet euch nicht!

Ecce enim evangelizo vobis gaudium magnum,

Denn seht, ich verkünde euch eine grosse Freude,

quod erit omni populo:

die dem ganzen Volk widerfahren wird:

quia natus est vobis hodie Christus

euch ist heute der Christus geboren worden,

Dominus in civitate David.

der Herr, in der Stadt Davids.

Et hoc vobis signum:

Und das soll für euch das Zeichen sein:

Invenietis infantem pannis involutum,

Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt ist

et positum in praesepio.

und in einer Futterkrippe liegt.

Et subito facta est cum Angelo

Und plötzlich erschien mit dem Engel

multitudo militiae coelestis,

das ganze himmlische Heer,

laudantium Deum, et dicentium:

die Gott lobten und sprachen:

Gloria in altissimis Deo,

Ehre sei Gott in der Höhe

et in terra pax hominibus bonae voluntatis!

und auf der Erde Friede den Menschen seines Wohlgefallens!

Nach Lukas 2,8-14

 


3. Air

 

Exspectans exspectavi Dominum.

Sehnlichst wartete ich auf den Herrn.

Et intendit mihi.

Da neigte er sich zu mir.

Psalm 40,2

 


4. Air et Choeur

 

Domine, ego credidi,

Herr,  ich bin zum Glauben gekommen,

quia tu es Christus,

dass du der Christus bist,

Filius Dei vivi,

der Sohn des lebendigen Gottes,

qui in hunc mundum venisti.

der in diese Welt gekommen ist.

Nach Johannes 11,27

 


5. Duo

 

Benedictus qui venit in nomine Domini.

Gesegnet sei, wer kommt im Namen des Herrn.

Deus Dominus, et illuxit nobis.

Gott ist der Herr, er gab uns Licht.

Deus meus es tu, et confitebor tibi.

Mein Gott bist du, ich will dir danken.

Deus meus es tu, et exaltabo te.

Mein Gott bist du, ich will dich erheben.

Nach Psalm 118,26-28

 


6. Choeur

 

Quare fremuerunt gentes,

Warum sind die Nationen in Aufruhr

et populi meditati sunt inania?

und sinnen die Völker Nichtiges?

Psalm 2,1

 

Gloria Patri, gloria Filio, gloria Spiritui Sancto.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Sicut erat in principio,

Wie es im Anfang war,

et nunc, et semper,

so auch jetzt und allezeit

et in saecula saeculorum.

und in Ewigkeit.

Amen.

Amen.


7. Trio

 

Tecum principium in die virtutis tuae

Die Herrschaft ist mit dir am Tag deiner Macht.

Tecum principium in splendoribus Sanctorum.

Die Herrschaft ist mit dir im Glanz der Heiligen.

Nach Psalm 110,3

 


8. Quatuor

 

Alleluja. Laudate, coeli, et exulta, terra,

Alleluja. Lobt, ihr Himmel, und jauchze, Erde,

quia consolatus est Dominus populum suum;

denn der Herr hat sein Volk getröstet;

et pauperum suorum miserebitur.

und seiner Armen wird er sich erbarmen.

Nach Jesaja 49,13

 


9. Quintette et Chœur

 

Consurge, Filia Sion. Alleluja.

Steh auf, Tochter Zion. Alleluja.

Lauda in nocte, in principio vigiliarum. Alleluja.

Lobe in der Nacht, zu Beginn der Nachtwachen. Alleluja.

Nach Klagelieder 2,19

 

Egrediatur ut splendor justus Sion,

Wie ein Lichtglanz soll der Gerechte Zions heraustreten,

et Salvator ejus ut lampas accendatur. Alleluja.

und sein Retter soll entflammen wie eine Fackel. Alleluja.

Nach Jesaja 62,1

 


10. Choeur

 

Tollite hostias,

Bringt Opfergaben

et adorate Dominum in atrio sancto ejus.

und betet den Herrn an in seinem heiligen Vorhof.

Laetentur coeli, et exultet terra

Die Himmel sollen sich freuen, und die Erde soll jauchzen

a facie Domini,

vor dem Herrn,

quoniam venit. Alleluja.

denn er kommt. Alleluja.

Nach Psalm 96,8.11.13

 

 


 

Übersetzung: Regula Menges-Bachmann




Ein Interview mit dem Dirigenten Jürg Surber zur Aufführung des Requiems

Jürg Surber, seit 1995 leitest du den Gemischten Chor Wald, seit 2003 das heutige Appenzeller Kammerorchester. Nun hast du dich für ein erstes grosses gemeinsames Konzert entschieden. Weshalb hast du gerade das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart dafür ausgesucht, und welche persönliche Beziehung hast du zu diesem Werk?

Jürg Surber: Mozarts Requiem ist mir seit meiner Kindheit bekannt und vertraut. Prägend war aber bestimmt eine Aufführung mit SchülerInnen der Kantonsschule Trogen vor einigen Jahren. Es hat mich sehr beeindruckt, wie die Jugendlichen sich emotional in das Stück einbrachten. Die Aufführung damals hatte allerdings nur fragmentarischen Charakter, und so wuchs im Lauf der Zeit der Wunsch, das Requiem als Gesamtwerk aufzuführen. Der Umgang mit Tod und Vergänglichkeit ist wahrscheinlich die schwierigste Herausforderung des Menschseins. Das Projekt mit der Kanti war stark biografisch gefärbt und stellte den Mythos um das Requiem und seinen historischen Zusammenhang ins Zentrum. Heute interessieren mich mehr die existentiellen Fragen und Antworten.

 

Das Requiem ist in verschiedener Hinsicht kein einfaches Werk. Wie sieht deine persönliche Vorbereitung aus im Vorfeld und jetzt während den Proben zusammen mit Chor und Orchester?

Jürg Surber: Ich habe viel gelesen über das Werk und die heute existierenden Fassungen verglichen. In der musikalischen Vorbereitung suche ich die „Ecken und Kanten“ des Werks, nicht unbedingt den geglätteten harmlosen Mozart. Inhaltlich bringt mir die Auseinandersetzung mit dem Requiemtext eine vertiefte Konfrontation mit der Thematik des Todes, der Endlichkeit und der menschlichen Existenz überhaupt. Ergänzend zum Requiemtext bin ich deshalb auch auf die Suche gegangen nach Texten aus verschiedensten Epochen und Kulturräumen. Meine Idee war es, der Musik Mozarts Texte an die Seite zu stellen, welche die Zuhörenden zu einer vertieften Auseinandersetzung auch mit dem Inhalt anregen. So kam ich auf die Texte von Rumi, über die wir ja später noch sprechen werden.

Darf ein so bekanntes Werk, das meist von professionellen MusikerInnen aufgeführt wird und von dem es ausgezeichnete CD-Aufnahmen gibt, von LaienmusikerInnen überhaupt gespielt werden?

Jürg Surber: Natürlich, das Requiem aufzuführen ist für uns alle eine sehr grosse Herausforderung! Und selbstverständlich sollten die Konzerte auch überzeugend sein. Wenn sie aber musikalisch einigermassen gelingen und von den Musizierenden persönlich ausdrucksstark gestaltet werden, ist eine Laienaufführung sicher berechtigt. Insofern macht es Sinn, sogenannt grosse Literatur zu spielen. Ich stelle auch jetzt wieder beim Requiem fest, dass ein grossartiges Werk die Probenarbeit in jeder Phase spannend und intensiv macht.

Das Requiem war beim Tod Mozarts erst fragmentarisch entstanden und wurde in der Folge von seinen Schülern, vor allem von Franz Xaver Süssmayr, fertiggestellt. Das kann eine gewisse Enttäuschung hervorrufen. Wie ist deine musikalische Einschätzung des Werks? Und welche Rolle spielt die Mythenbildung rings um den frühen Tod Mozarts für die Beliebtheit und die Grösse des Werks?

 

Jürg Surber: Je mehr ich mich mit dem Werk auseinandersetze und Fachliteratur und romanhafte Schilderungen rings um Mozarts Tod und die Entstehung des Requiems lese, desto weniger wichtig wird mir die historische Frage oder eben auch diejenige des Mythos. Ein Fund bei der Lektüre war, dass es im Requiem nahe Bezüge gibt zum Funeral Anthem for Queen Caroline (The ways of Zion do mourn) von Georg Friedrich Händel. Mozart hatte das Werk studiert und „verwendete“ es für den Introitus-Satz. Das wertet Mozarts Werk nicht ab, sondern zeigt seine Wertschätzung dem Werk Händels gegenüber. Immer ist Kunst auch eine Auseinandersetzung mit bereits Bestehendem. Die ersten beiden Sätze von Händels Anthem bilden deshalb auch den Anfang unserer Konzerte.
Mit dem fragmentarischen Charakter des Requiems und dessen Vollendung durch Mozarts Schüler sehe ich es ähnlich: es gibt nicht nur ‚Original‘ und ‚Nicht-Original‘, das eine besser, das andere schlechter. Es ist ja so, dass die wesentlichen Elemente des Requiems von Mozart komponiert wurden, nämlich der vierstimmige Chorsatz bis zum Sanctus samt Basslinie, die in Barock und Klassik stets das Fundament bildet. Auch liegt die Vermutung nahe, dass das Anknüpfen des letzten Satzes an den Beginn des Werks bereits von Mozart so vorgesehen war. Für unsere Aufführungen habe ich mich für die Fassung von Franz Beyer entschieden, weil die Instrumentierung stimmiger ist als bei Süssmayr, sodass sich ein originaleres und durchsichtigeres Klangbild ergibt, das überzeugt.

Eine Vertiefung in den Text des Requiems, in dem in lateinischer Sprache für das Seelenheil Verstorbener gebetet wird, führt uns in eine uns fremd gewordene Vorstellungs- und Glaubenswelt. Wie gehst du damit um? Und inwiefern beeinflusst der Text die Musik Mozarts?

Jürg Surber: Mich fasziniert, wie eindrücklich und unmittelbar Mozart, der selbstverständlich ein Kind seiner Zeit war, den Text in Musik umsetzt. Ich selbst habe eine gewisse Distanz zum Originaltext. Mit allem Engen, Dogmatischen, Ideologischen oder Missionarischen tue ich mich schwer. Mein Welt- und Gottesbild ist offener als dasjenige des Requiemtextes. Das Werk - wie übrigens geistliche Musik überhaupt - bringt mich, bringt uns dazu, über existentielle Fragen für unser eigenes Leben nachzudenken. Musik ist spirituell in einem umfassenden Sinn. Und da der Tod die absolute Herausforderung unseres Lebens ist, meine ich, dass er Thema jeder ernsthaften Musik ist. Insofern geht uns das Requiem bei aller Fremdheit des Textes unmittelbar etwas an! Und weil ich es hilfreich finde sowohl für die Musizierenden, für mich selbst, aber auch die Zuhörenden, wird in den Konzerten zwischen einzelne musikalische Teile eine Wortspur aus Werken des persischen Mystikers Dschalaluddin Rumi gesetzt, die eine zusätzliche und uns trotz grösserer zeitlicher, räumlicher und kultureller Distanz vielleicht näher liegende Spiritualität eröffnet. Rumis Blick auf die menschliche Existenz ist offen, umfassend und universell, dabei stets liebevoll und ohne den Gedanken von Sühne und Jüngstem Gericht, der für uns heutige Menschen schwierig zu fassen ist.

In den vergangenen Jahren hat das Appenzeller Kammerorchester sich vermehrt mit barocken Werken beschäftigt und an einem authentischen Klangbild gearbeitet. Auch das Requiem wird mit Barockbogen gespielt. Weshalb hast du dich dazu entschieden, und was bedeutet es für die Aufführung des Werks insgesamt?

Jürg Surber: Die Mitglieder des Orchesters haben im Lauf der letzten Jahre Übung und Vertrautheit im Umgang mit dem Barockbogen erlangt. Wenn wir auch für die Musik Mozarts den Barockbogen wählen, ist das Ziel, so durchsichtig und beweglich wie möglich zu spielen. Um eine authentische Aufführungspraxis im engeren Sinn geht es also nicht; dafür wären ja beispielsweise auch Originalinstrumente nötig. Wichtig ist mir vielmehr, nach den Schärfen und Kontrasten in Mozarts Musik zu suchen. Das interessiert mich – weit entfernt also von den süssen Mozartkugeln!

Seit einigen Monaten wird in Chor und Orchester intensiv geprobt. Wie schätzt du den Stand der Vorbereitungen ein? Und was dürfen die Konzertbesuchenden von den Aufführungen erwarten?

Jürg Surber: Die Proben kommen voran, wie ich es mir vorgestellt habe. Und erwarten? Erwarten dürfen die Konzertbesuchenden eine engagierte, von innen heraus mit Feuer gespielte Aufführung, die bewegt.

Jürg Surber, ich danke dir sehr herzlich für das Gespräch.


Interview: Regula Menges-Bachmann (September 2012)

KV 626

Mozart-Requiem Aufbau und Text (lat. und wörtl. dt.)

 

I Introitus:

Requiem aeternam dona eis, domine,
Ewige Ruhe gib ihnen, Herr,
Et lux perpetua luceat eis.
und ewiges Licht leuchte ihnen.
Te decet hymnus, deus, in Sion
Dir, Gott, gebührt Lobgesang in Zion
Et tibi reddetur votum in Jerusalem.
und dir soll das Gelübde erfüllt werden in Jerusalem.
Exaudi orationem meam.
Erhöre mein Gebet.
Ad te omnis caro veniet.
Zu dir wird kommen alles Fleisch.


II Kyrie:

Kyrie eleison.
Herr, erbarme dich.
Christe eleison.
Christus, erbarme dich.
Kyrie eleison.
Herr, erbarme dich.    


III Sequenz:

1.
Dies irae,
Tag des Zorns,
dies illa                                                   
jener Tag
solvet saeculum in favilla
wird das All in Staub auflösen,
Teste David cum Sibylla.
wie bezeugt von David und dem Sibyllischen Orakel.
Quantus tremor est futurus,
Wieviel Zittern wird es geben,
Quando iudex est venturus,
wenn der Richter erscheinen wird,
Cuncta stricte discussurus.
alles streng zu prüfen.

2.
Tuba mirum spargens sonum
Die Posaune mit wunderlichem Laut wird erklingen
Per sepulcra regionem
durch das Gebiet der Gräber und
Coget omnes ante thronum.
wird alle vor den Thron zwingen.
Mors stupebit et natura,
Der Tod und und die Natur werden erschauern,
Cum resurget creatura
wenn die Schöpfung sich erheben wird,
Judicanti responsura.
dem Richter Rechenschaft zu geben.
Liber scriptus proferetur
Ein geschriebenes Buch wird erscheinen,
In quo totum continetur
in dem alles enthalten sein wird,
Unde mundus iudicetur.
was die Welt sühnen soll.
Judex , cum sedebit,
Wenn sich dann der Richter setzen wird
- quidquid latet apparebit.
was auch immer im Verborgenen war, wird ans Licht kommen.
Nil inultum remanebit.
Nichts wird unvergolten bleiben.
Quid sum miser tunc dicturus?
Was werde ich Elender dann sagen?
Quem patronum rogaturus,
Welchen Anwalt werde ich erbitten,
Cum vix iustus sit securus?
wenn der Gerechte kaum sicher sein kann?

3.
Rex tremendae majestatis,
König von erzittern lassender Majestät,
Qui salvandos salvas gratis,
der du die zur Rettung Bestimmten errettest aus Gnade :
Salva me, fons pietatis.
Rette mich, du Urquell der Gnade.

4.
Recordare, Jesu pie,
Gedenke, o du treuer Jesus,
Quod sum causa tuae viae.
dass ich der Grund bin für deinen Weg.
Ne me perdas illa die.
Verdirb mich nicht an jenem Tage.
Quaerens me sedisti lassus,
Mich suchend hast du dich erschöpft,
Redemisti crucem passus.
hast mich errettet, indem du das Kreuz erlittest.
Tantus labor non sit cassus.
Solch grosse Mühe sei nicht vergeblich.
Juste judex ultionis,
Gerechter Richter der Vergeltung,
Donum fac remissionis
schenke Vergebung
Ante diem rationis.
vor dem Tag der Abrechnung.
Ingemisco tamquam reus,
Ich seufze als ein Schuldiger,
Culpa rubet vultus meus.
Schuld rötet mein Gesicht.
Supplicanti parce, deus.
Dem demütig Bittenden gewähre Schonung,
Gott.
Qui Mariam absolvisti
Der du Maria vergeben hast
Et latronem exaudisti,
und den Schächer erhört hast,
Mihi quoque spem dedisti.
hast auch mir Hoffnung geschenkt.
Preces meae non sunt dignae,
Meine Bitten sind es nicht wert,
Sed tu, bonus, fac benigne
aber du, Guter, lass Güte walten,
Ne perenni cremer igne.
auf dass ich nicht für ewig brenne im Feuer.
Inter oves locum praesta
Unter den Schafen weise mir meinen Platz zu,
Et ab hoedis me sequestra
und lass mich von den Böcken getrennt sein,
Statuens in parte dextra.
indem du mich zu deiner Rechten stellst.

5.
Confutatis maledictis,
Wenn zum Schweigen gebracht werden die Verdammten,
Flammis acribus addictis,
den verzehrenden Flammen ausgesetzt werden,
Voca me cum benedictis.
dann rufe mich mit den Gesegneten.
Oro supplex et acclinis,
Ich bitte unterwürfig und demütig
Cor contritum quasi cinis,
mit einem Herzen, das sich in Reue im Staub beugt,
Gere curam mei finis.
trag Sorge zu meinem Ende.

6.
Lacrimosa dies illa
Tränenreich ist jener Tag,
Qua resurget ex favilla
an welchem auferstehen wird aus dem Staube
Judicandus homo reus.
zum Gericht der Mensch als Schuldiger.
Huic ergo parce, deus,
Gewähre ihm Schonung, Gott,
Pie Jesu Domine.
treuer Herr Jesus.
Dona eis requiem. Amen.
Schenke ihnen Ruhe. Amen.


IV Offertorium:

1.
Domine Jesu Christe, rex gloriae,
Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit,
libera animas omnium fidelium defunctorum
befreie die Seelen aller Gläubigen, die gestorben sind,
De poenis inferni
von den Strafen der Hölle
Et de profunda lacu.
und vom abgründigen See.
Libera eas de ore leonis
Befreie sie aus dem Rachen des Löwen,
Ne absorbeat eas tartarus
auf dass die Unterwelt sie nicht verschlinge,
Ne cadant in obscurum
auf dass sie nicht ins Dunkel fallen,
Sed signifer sanctus Michael repraesentet eas
sondern der Heilige Michael, der Bannerträger, sie stellvertretend begleite
In lucem sanctam
in das heilige Licht,
Quam olim Abrahae promisti et semini eius.
wie du einst Abraham verheissen hast und seinem Samen.

2.
Hostias et preces tibi, domine, laudis offerimus
Opfergaben und Bitten bringen wir dir, Herr, mit Lob dar:
Tu suscipe pro animabus illis
Nimm du sie auf für jene Seelen,
Quarum hodie memoriam facimus.
derer wir heute gedenken.
Fac eas, domine, de morte transire ad vitam
Gib, dass sie, Herr, vom Tod hinübergehen zum Leben,
Quam olim Abrahae promisti et semini eius.
wie du einst Abraham verheissen hast und seinem Samen.


V Sanctus:

Sanctus, Sanctus, Sanctus, Dominus Deus
Sabaoth.
Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott der Heerscharen.
Pleni sunt coeli et terra gloria tua.
Voll sind Himmel und Erde von deiner Ehre.
Hosanna in excelsis.
Hosanna in der Höhe.


VI Benedictus :

Benedictus, qui venit in nomine domini.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.
Hosanna in excelsis.
Hosanna in der Höhe.    


VII Agnus Dei:
 
Agnus dei, qui tollis peccata mundi,
Lamm Gottes, das du trägst die Sünde der Welt,
Dona eis requiem sempiternam.
gib ihnen die ewige Ruhe.


VIII Communio:

Lux aeterna luceat eis, domine,
Ewiges Licht leuchte ihnen, Herr,
Cum sanctis tuis in aeternum, quia pius es.
Mit deinen Heiligen in Ewigkeit, denn du bist treu.
Requiem aeternam dona eis, domine,
Ewige Ruhe gib ihnen, Herr,
Et lux perpetua luceat eis.
und ewiges Licht leuchte ihnen.

(Wörtl. deutsche Übersetzung: Regula Menges-Bachmann)

Nächste Konzerte

Das Appenzeller Kammerorchester lädt Mitte Juni ein zu drei Konzerten mit neuem Programm:

  • Freitag, 14. Juni 2024, 19.30 Uhr, Kirche Wolfhalden
  • Samstag, 15. Juni 2024, 20.00 Uhr, Kath. Herz-Jesu-Kirche, Buchs SG
  • Sonntag, 16. Juni 2024, 18.00 Uhr, Pfalzkeller St.Gallen

Werke von Frauen sind immer noch rar in den Konzertprogrammen. Das Appenzeller Kammerorchester setzt einen Kontrapunkt und kombiniert im neuen Programm ausschliesslich Kompositionen von Musikerinnen. Im Zentrum steht das Klavierkonzert a-moll von Clara Schumann (1819 – 1896) mit Lisa Maria Schachtschneider als Solistin. Ein Jahrhundert früher hat Marianna Martines (1744 – 1812) die Sinfonia in C geschrieben, ein Jahrhundert später Ruth Gipps (1921 – 1999) ihre poetische Klangdichtung «Cringlemire Garden». Daneben Überraschendes aus der Appenzeller Volksmusik: ein Walzer von Josefine Alder, und Populäres aus den USA: Adoration von Florence Price.

Die Pianistin Lisa Maria Schachtschneider lebt seit zehn Jahren in der Ostschweiz und ist eine gefragte Solistin, Liedbegleiterin und Kammermusikerin. Sie tritt regelmässig in vielen Städten Deutschlands, in Österreich, Liechtenstein, in Italien und in der Schweiz auf. 

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